9. Versfüße, Versarten (Alexandriner), Strophenformen (Sonett)
Trotz des rhythmischen Prinzips übernimmt Opitz die griechischen Bezeichnungen für die Versfüße, erlaubt allerdings nur zweisilbige, also Jambus und Trochäus. Erst sein Schüler August Buchner führt theoretisch Anapäst und Daktylus ein. Buchner-Schüler wie Philipp von Zesen haben dann seit etwa 1640 verschiede Versfüße im selben Vers gemischt. Auch die Versfüße werden mit analogem Bezug zum Inhalt gewählt. Sie entsprechen einer Stimmung oder einer Gattung. Der Trochäus (x́x) wird als bewegter und aufgeregter empfunden als der ruhigere Jambus (xx́). Er soll mehr zu traurigen, der Jambus mehr zu fröhlichen Inhalten benutzt werden, weil es sich einmal um eine Abwärtsbewegung, das andere Mal um eine Aufwärtsbewegung handelt. Der Jambus wird mehr für Satiren verwendet, der Trochäus mehr für Liebesklagen. Der Daktylus (x́xx) ist tänzerisch und rauschhaft; er drückt oft Jubel und heftige Erregung aus. Aber schon Gryphius benutzt den Daktylus auch für klagende Verse. Der Anapäst (xxx́) wirkt, als ob er mit Schwung gegen etwas angeht; daher wird er gerne in Kriegs- und Kampfliedern verwendet.
Von den Versarten dominiert seit Opitz der Alexandriner. Es ist ein sechshebiger Jambus mit einer Zäsur in der Mitte und weiblicher oder männlicher Kadenz:
xx́xx́xx́|xx́xx́xx́(x)
„Man sieht, wohin man sieht, nur Eitelkeit auf Erden.“
Der gereimte Alexandriner gilt als heroischer Vers. Er wird in der Tragödie verwendet, aber auch in inhaltsschwerer, religiöser Lyrik. Wichtig ist die strenge Zweiteilung durch die Mittelzäsur. Das entspricht ganz der barocken Vorliebe, einen Gegensatz durch eine höhere Einheit zu umfassen. Antithesen und Analogien lassen sich auf beide Vershälften verteilen. Nicht ganz so häufig ist der um einen Takt kürzere Vers comun:
xx́xx́|xx́xx́xx́(x)
„So laß den Leib, in dem du bist gefangen.“
Auch er ist jambisch und hat eine Zäsur, aber schon nach dem zweiten Takt, so daß ungleiche Hälften entstehen. Er fand in Frankreich und Italien häufiger Verwendung; ohne Reim und Zäsur wurde er später zum englischen Blankvers. In populären Gattungen wie dem Kirchenlied finden sich noch ältere Versarten, wie sie etwa von Luther verwendet wurden, allerdings immer nach der modernen Versreform geregelt. In tänzerischen Liedern werden auch Kurzverse mit nur zwei oder drei Versfüßen verwendet. Da aber andererseits auch in längeren Versen Binnenreime vorkommen, ist oft nicht ganz klar, ob es sich um Kurzverse oder um Langverse mit Binnenreim handelt.
Das Sonett (Textbeispiel I), die beliebteste Strophenform der deutschen Barocklyrik, besteht aus 14 Versen mit zwei Quartetten und zwei Terzetten. Es wurde durch den Petrarkismus in ganz Europa verbreitet. Seit 1556 gibt es auch deutsche Sonette, häufiger aber erst seit Opitz. Im Reimschema hat das Petrarca-Sonett in den Quartetten den selben umfassenden Reim (abba), während die Reimstellung der Terzette variabel ist. Diese Form entspricht dem barocken Denken in Analogien und Antithesen in besonderer Weise: sie können in den Quartetten hergestellt und in den Terzetten bestätigt, aufgelöst oder umgedeutet werden. Das Ende der Sonette neigt zur überraschenden Pointe, oft in Form eines Epigramms.
Aufgabe 9a
Charakterisieren Sie die Wahl der Versfüße in der Barockdichtung!
Aufgabe 9b
Erklären Sie das Bauprinzip des Alexandriners!
Aufgabe 9c
Erklären Sie das Bauprinzip des Sonnetts!