2. Epochenstil
Obwohl sich die Barockliteratur in der Theorie weiterhin an den poetologischen und rhetorischen Regeln des Humanismus orientiert, lassen sich doch in der Praxis auch antiklassische Tendenzen bemerken. Man strebt nach dem außerordentlichen Eindruck, nach Intensivierung und Zuspitzung. Rhetorisch sind daher Häufung, Aufzählung und Variation typisch, aber auch die witzige Pointe, das Wortspiel, das Paradoxon, das Oxymoron. All das gibt es auch in klassischer Dichtung, aber die Barockpoesie geht oft über das harmonische Maß hinaus. ‚Klassisch’ ist das ruhige Gleichgewicht der Gegensätze; ‚barock’ ist das dynamische Schwanken zwischen den Gegensätzen. Wenn der Kreis als perfekte Ordnung um einen Mittelpunkt Ausdruck der ‚klassischen’ Renaissance sein kann, dann ist die Ellipse als dynamisches Kreisen um zwei Brennpunkte Ausdruck des Barocks. In den Grundrissen der Kirchen läßt sich dieser Unterschied ganz konkret wiederfinden. Das Bewegte, das Schwungvolle ist also charakteristisch für einen großen Teil der Literatur des 17. Jahrhunderts. Aber es gibt gleichzeitig immer den Bezug auf die humanistische und damit auf die antike Tradition. Auch die Barockdichtung folgt einer Regelpoetik. Es paßt sehr gut zum Ambivalenten und Widersprüchlichen dieser Epoche, die zwischen Sinnlichkeit und Askese, Erotik und Religion, Antike und Christentum, Welt und Gott schwankt, daß sie auch zwischen Antiklassik und Klassik hin und her gerissen ist. Wie die Ellipse die Verschmelzung zweier Kreise ist, so ist Barockdichtung zugleich exzentrisch und geregelt.
Aufgabe 2
Charakterisieren Sie den barocken Stil!