4. Religiöser Zeitgeist
Der Dreißigjährige Krieg war die eigentliche physische, ökonomische und moralische Katastrophe Mitteleuropas. Ein anschauliches Bild dieser Zustände bietet Grimmelshausens Roman Simplicius Simplicissimus. Große Teile der Bevölkerung wurden teils direkt durch die Kriegshandlungen, teils indirekt durch Seuchen und Hunger vernichtet. Eine ganze Generation wuchs in Kriegszeiten auf. Alle Ordnung und Sicherheit war zusammengebrochen. Religiöse Werte gingen in der Realität oft verloren. Als Reaktion dagegen werden sie in der Literatur aber gerade wieder gesucht und betont. Der Geist der Weltlichkeit, der die Renaissance besonders in Italien, teilweise aber auch den Humanismus im Norden beherrscht hatte, macht einer neuen Religiosität Platz. Barockliteratur ist in großen Teilen religiöse Dichtung, und auch wo sie weltlich ist, beruht sie auf der Erfahrung der Vergeblichkeit und der Vergänglichkeit. „Alles ist eitel“ – dieser Spruch des Predigers Salomo ist das Motto der Epoche. Die Vanitas-Erkenntnis führt zu zwei nur scheinbar gegensätzlichen Reaktionen: zum Carpe-Diem, also zur Lebenslust, solange es noch geht, und zum Memento-mori, zum Bedenken des Todes und zum Verzicht auf die Freuden dieser Welt. Erotik und Religion, Diesseits und Jenseits gehören sich ergänzend zusammen.
Trotz der oft demonstrativen Lebensfreude kennzeichnet die Barockdichtung im Ganzen ein tiefer Pessimismus gegenüber der Welt. Der Tod ist das große Thema. ‚Hodie mihi cras tibi’ (heute ich, morgen du), steht auf barocken Grabdenkmälern. ‚Leben heißt sterben lernen’, diese Maxime der antiken Stoa wird aufgegriffen. Es bildet sich ein christlicher Stoizismus heraus; das geduldige Ertragen des Leidens und des Unglücks ist die entscheidende Tugend. Einflußreich wurde hier der niederländische Stoiker Justus Lipsius (1547-1606) mit seiner Schrift De constantia von 1584. In der Barockpoesie herrscht der Primat des Jenseits. Die Schrecken und Leiden des Diesseits – Krieg, Gewalt, Seuchen, böse Taten – werden als nur vorübergehend relativiert, ja sie können sogar als Gelegenheit zur Prüfung etwas Positives bekommen. Der barocke Dramenheld ist als Märtyrer oft ein siegreicher Kämpfer gegen Gewalt und Todesangst. Das Erlebnis der realen Anarchie führt zum idealen Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung.
Aufgabe 4a
Erklären Sie die Bedeutung der Religion aus den Zeitumständen!
Aufgabe 4b
Erklären Sie die Verbindung der christlichen Religion mit der stoischen Philosophie!