12. Rhetorik
Barockdichtung ist rhetorische Dichtung. Sie will etwas erreichen, von etwas überzeugen. Sie hat einen didaktischen Zweck. Um diesen Zweck zu erreichen, muß man gewisse Regeln beachten. Opitz unterscheidet ganz traditionell „Erfindung und Einteilung der Dinge“: erst überlegt man sich den Inhalt (inventio), dann ordnet man den Stoff (dispositio). Danach kommt die „Zubereitung und Zier der Worte“ (elocutio). Der Dichter muß also, wie der Redner, zunächst eine Stoffsammlung anlegen; wenn er weiß, was er sagen will, muß er sich überlegen, wie er es sagt und wie er es sprachlich ausdrückt. Die „Erfindung“ (inventio) ist aber nicht im Sinne einer Fiktion gemeint, sondern im Sinne einer Auffindung bekannter Fakten. Barockdichtung will nicht genial-originell, sondern akademisch-gelehrt sein. Der Dichter muß sich daher in allen Wissenschaften und Künsten auskennen. Er muß souverän über das Wissen seiner Zeit verfügen. „Erfindung“ bedeutet demnach nicht, daß etwas noch nicht Existierendes neu erfunden wird, sondern daß etwas Bekanntes aufgefunden oder herausgefunden wird. Für dieses Herausfinden gibt es in der Rhetorik die Regeln von den Örtern (topoi) oder Plätzen (loci) der Argumente.
Rhetorische Figuren sind kein äußerlicher Schmuck, sie müssen vielmehr eine inhaltliche Entsprechung haben. Besonders beliebt sind hier die Wiederholungsfiguren. Eine Epanalepse ist beispielsweise die unmittelbare Wiederholung eines Wortes oder einer Folge von Wörtern. Das ist an sich ein stilistischer Fehler. Aber absichtlich eingesetzt, kann es die Verwirrung, den Zorn, die Unbeherrschtheit des Redenden oder auch die Dringlichkeit des Gesagten ausdrücken. (Vgl. Textbeispiel II: „Auf / auf“; „So / so“.) Am häufigsten begegnet die Anapher, die Wiederholung des selben Wortes am Anfang einen Verses, wodurch ein Sinnbezug geschaffen wird. Äußerst beliebt ist auch die Konklusion, also die abschließende Zusammenfassung der Hauptbegriffe des Textes. Solche Wortspiele sind für die Barockdichtung typisch. Das gilt auch für die Periphrase, also die erweiternde Umschreibung eines Begriffs. Eine Sache, eine Person, einen Gedanken nicht einfach nur zu nennen, sondern ihn wie in einem Rätsel zu umschreiben, das macht für die Poetiken des Barock geradezu das Wesen der Dichtung aus.
Textbeispiel IV: Martin Opitz (1597-1639)
Die Sonn’, ein Pfeil, der Wind, verbrennt, verwundt, weht hin,
Durch Feuer, Schärffe, Sturm mein’ Augen, Herze, Sinn.
Interpretationshinweise: Opitz trennt im ersten Vers dieses Epigramms die Wortarten und bringt erst alle Substantive, dann alle Verben, die sich aber in dieser Reihenfolge wieder zusammensetzen lassen. Im zweiten Vers werden dann ebenso die Objekte der drei Sätze ergänzt: die Sonne verbrennt durch Feuer die Augen etc. Auf diese Weise entsteht eine rätselhafte Verdichtung, die dennoch ganz logisch auflösbar ist. Aber durch Vertauschung und Vermischung der Satzglieder können auch ungewöhnliche Ausdrücke entstehen: die Sonne verwundet durch Schärfe den Sinn etc.
Aufgabe 12a
Erklären Sie die Hauptteile der Rhetorik!
Aufgabe 12b
Erklären Sie am Textbeispiel von Opitz die Wirkung rhetorischer Mittel!