Das Entstehen einer mehrsprachigen Kinderliteratur II.

Das 18. Jahrhundert brachte auch in der Pädagogik bedeutende Veränderungen mit sich. Als Vorbild diente immer noch das Werk von Comenius, doch der Magister leitet und führt nicht mehr, sondern er begleitet eher das Kind. Das Kind steht im Mittelpunkt, der Lehrer erklärt und hilft, falls es gebraucht wird. Dem natürlichen Entwicklungsprozess entsprechend verläuft der Vorgang vom Einfachen zu Schwierigen und vom Konkreten zum Abstrakten (von Merveldt, 2013). Auch in der Sprachpädagogik setzen sich diese Prinzipien durch, ergänzend damit, dass das Spracherlernen auf die Muttersprache gebaut wird. Bis zu diesem Punkt finden wir die Gedankenwelt von Comenius. Allerdings werden statt Latein immer mehr moderne Sprachen, wie Englisch, Französisch oder Italienisch in ähnlichen Bilderbüchern wie bei Comenius den Kindern beigebracht.

Auf die Auswirkung der Industrialisierung, die neuen Bedürfnisse des Bürgertums nach Wissen, wie die die technischen Errungenschaften, naturwissenschaftlichen Ergebnisse, sowie die geographischen und völkerkundlichen Entdeckungen erschien ein neuer Lehrbuchtyp (Pech, 2008). Auch die Wörterbucher ziehen im Laufe des 19. Jahrhunderts auf die Bücherregale des Bürgertums ein, wie die selbstverständlichen Requisiten des gebildeten Bürgers. Neben dem Zeichnen, Musizieren usw. gehörte auch die Kenntnis von Fremdsprachen zu den Kulturtechniken der gebildeten Bürger. Anders ausgedrückt: sie wurden zum kulturellen Kapital des Bürgertums (Jentgens- Barth, 1998:713-715).

 

    Das wichtigste Ziel der zweisprachigen Wörterbücher des 20. Jahrhunderts ist nicht der Sprachunterricht, sie möchten unterhalten, die Kultur des zielsprachigen Landes dem Leser näher bringen. Der Urtyp dieser Art von Wörterbüchern und wohl auch das international bekannteste ist das mehrsprachige Bildwörterbuch von Richard Scarry (1919-1994). Seine Serie, die mit dem Titel Best Word Book 1963 in den USA erschien, erlebte mehrere Ausgaben, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, und es ist vielleicht keine Übertreibung zu behaupten, dass seine Bücher in die meisten Kinderzimmer Einzug hielten.
 
    Auf Deutsch lautet der Titel Mein allerschönstes Wörterbuch und hier werden die Bilder in zwei Sprachen erklärt: auf Deutsch und auf Englisch. Die ungarische Version wurde von András Réz übersetzt mit dem Titel: Tesz-vesz szótár und erschien in drei Sprachen: auf Deutsch, Englisch und Ungarisch. Der Übersetzer lenkt die Aufmerksamkeit der Leser auf die Tatsache, dass das Buch mehr als 1500 ungarische Wörter beinhaltet und die anderen beiden Sprachen noch einmal so viele Wörter aufbringen und geben wir noch die Zahl der Bilder dazu, die dann die vierte gemeinsame Sprache aller Nationen bildet, so sprechen wir von einer betrachtlichen Zahl der Informationen. Liebe, antropomorphe Tiere stellen die Welt, die Gewohnheiten, die Mahlzeiten, die Alltage der Menschen vor, mit Schauplätzen, wo sich die Kinder zu Hause fühlen können, weil sie für sie bekannt sind.
 
    Als Grundlage dient die Welt der Kinder, das Buch hilft ihnen dabei diese bunte Umwelt mit Wörtern anderer Sprachen zu erschließen. Das Buch ist mehr als ein Wörterbuch und das nicht nur wegen der kleinen Aufgaben und Rätsel, die sich auf jeder Seite befinden, sondern auch weil es Zusammenhänge gibt, die die Kinder zum Sprechen anspornen. Die Eigenschaften der jeweiligen Figuren erscheinen auf den Seiten und auch ihre Beziehungen zueinander werden nach dem Blättern und Anschauen der Seiten erschließbar. Die moderne Version von Orbis Pictus ist unterhaltsam und bunt, sowie schließt auch die Mittel der Narration und Fiktion ein. Heute begleiten wegen der besseren Verkaufsmöglichkeiten die mehrsprachigen Bücher bekannte Märchenfiguren, wie z. B. Barbie oder Geronimo Stilton.
 
    Es ist indiskutabel, dass es illustrierte Märchenbücher in vielen Sprachen gibt. Es gibt unter ihnen viele gute Ausgaben, doch es gibt weniger anspruchsvolle Werke. Dass Kosten und Anspruch, pädagogische Fakten und Ästhetikum schon vor Jahrhunderten nicht so einfach in Einklang gebracht werden konnten, beweist am besten die Aussage eines Verlegers über ein Kinderbuch: „… denn nichts ist wichtiger als das Auge eines Kindes, von Anfang an, die reale Darstellung der Gegenstände, der echten Verhältnisse, Eindrücke und Begriffe, die in der Seele wohnen und die Angewöhnung an die schönen Formen und den guten Geschmack” (Bertuch, 1801).