Navigation überspringen

20. Emblematik

Das Analogiedenken der Barockdichtung findet einen besonders charakteristischen Ausdruck im Emblem. Dabei handelt es sich um eine dreiteilige Kombination von Bild und Text, also um eine Verbindung von Bildkunst und Wortkunst, und zwar so, daß man sie nur zusammen versteht, weil sie sich gegenseitig erläutern. Zuerst steht eine abstrakte Überschrift (inscriptio), dann folgt eine Abbildung (pictura), die eine konkrete Situation zeigt, zuletzt kommt ein poetischer Text (subscriptio), meist ein Gedicht, worin der Bezug zwischen Abstraktem und Konkretem, zwischen allgemeiner Überschrift und anschaulichem Bild in oft überraschender Weise hergestellt wird. Dabei ergibt sich eine moralische oder religiöse Lehre oder Lebensweisheit. Wichtig ist an dieser Struktur, daß es sich um die Auflösung eines Rätsels handelt. Im Unterschied zum Symbol erschließt sich die Bedeutung des Bildes nicht von selbst. Das Emblem muß sich erklären. Erst die Subscriptio läßt den Sinn der zunächst unklaren Beziehung zwischen Inscriptio und Pictura erkennen. Das ist ganz typisch für die Barockdichtung: in der scheinbaren Sinnlosigkeit wird der verstreckte Sinn gezeigt. Deshalb haben auch andere Gattungen oft eine emblematische Struktur. Besonders der heroische Barockroman ist ein großes Rätsel, das sich erst am Ende auflöst. Dahinter steht das christliche Weltbild der Barockzeit, daß das menschliche Leben ein scheinbares Chaos ist, das dennoch eine ewige Ordnung enthält: hinter der Fortuna zeigt sich die göttliche Providentia. Auch Naturschilderungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als eine Art Pictura, die auf einen allgemeinen Satz hin gedeutet wird. Und besonders im Sonett hat oft die Überschrift die Funktion der Inscriptio; in den Quartetten wird dann ein anschauliches Bild, die Pictura, beschrieben; und am Ende liefern die Terzette oder auch erst die beiden Schlußverse die Interpretation als Subscriptio. Auch die Emblematik entstammt dem Humanismus des 16. Jahrhunderts. Das Vorbild für alle späteren Sammlungen war das Emblembuch des Andreas Alciatus von 1531. Im Grunde geht sie aber über das Mittelalter bis in die Antike zurück. Ein berühmtes Emblem ist beispielsweise der Pelikan, der sich selbst ins Herz sticht, um seine Jungen mit dem Blut zu ernähren; er bedeutet Christus, der durch seinen Tod die Menschen rettet. Das geht auf den Physiologus, eine frühchristliche Tierallegorie, zurück wie viele Bedeutungen von mythischen Tieren wie Einhorn oder Phönix. Einige Embleme haben sich bis in die heutige Sprache erhalten, etwa die Krokodilstränen für geheuchelte Trauer.

Aufgabe 20a

Erklären Sie die Struktur eines Emblems!

Aufgabe 20b

Erklären Sie die Möglichkeit einer emblematischen Struktur bei anderen Gattungen!