4. Jugendstil
1. Der Begriff : nach der Münchner Kunstzeitschrift „Jugend“
- im deutschen Sprachraum: Bezeichnung für die im letzten Jahrzehnt des 19. Jh.s bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs vorherrschende künstlerische Erneuerungsbewegung
- in Österreich / Ungarn: Secession / szecesszió
→ auch Sezession; lateinisch secessio „Abspaltung“, „Absonderung“: bezeichnet in der Kunst die Abwendung meist einer Künstlergruppe von einer als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Kunstrichtung in England und Belgien Modern Style, in Frankreich l‘Art nouveau, in Italien Stile floreale.
- Anregungen: Präraffaeliten (Künstlergruppe in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England)
- bis zur Jahrhundertwende gelten die Bezeichnungen „Jugendstil“ und L'Art nouveau fast ausschließlich für die Gebrauchskunst
→ in der angewandten Kunst und im Kunsthandwerk: Typographie, Plakatkunst, in der Gestaltung von Möbeln, Gläsern, Keramiken und Geräten, von Entwürfen für Stoffmuster und Tapeten und in der Innendekoration
- in der Architektur
- in der Malerei: Gegenbewegung
1. gegen die formauflösenden Tendenzen des Impressionismus
2. gegen den Formalismus auf den Akademien
2. Charakteristische Merkmale
- widersprüchlich Wesensart:
Suchen nach ganz neuartigen Formen: → Abkehr von der Nachahmung historischer Stile
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zugleich: der sublimste Ausdruck des raffinierten Geschmacks einer bereits überalterten, die Weltuntergangsstimmung kultivierenden spätbürgerlichen Gesellschaft
- symbolträchtige Dekorativität
- Verzicht auf räumliche Illusion und plastische Wirkung zugunsten von Linie, Form und Fläche,
- Betonen des Ornamentalen, wobei das floreale Ornament überwiegt
→ wuchernd rankende Pflanzen, deren rhythmischer Linienfluss gelegentlich in vegetabile Abstraktionen übergeht;
→ dementsprechend im Figürlichen:
- langgestreckte, in rhythmisch fließende Gewänder gehüllte Gestalten mit flammenartig wallenden Haaren
- schlangenhafte Gesten orientalischer Tänzerinnen;
- Tiere wie Schwäne, Flamingos, Polypen oder Reptilien, deren Körperformen einer flächig-linearen Darstellung entgegenkommen
- die größte Ausbreitung hat der Jugendstil in Deutschland,
→ nicht nur in der Gebrauchskunst, sondern auch in der Malerei
Max Klinger, Franz von Stuck, Hugo von Habermann
- spezifisch wienerische, ganz unverwechselbare Ausprägung hat der Jugendstil in der morbid-schönen Kunst von Gustav Klimt
in der Literatur: vor allem in der Lyrik
Merkmale:
- Stilisierung
→ Verwendung mythologischer Elemente, Sagenhaft-Mittelalterliches, Feierlich-Symbolisches, Ungewöhnliches-Gewähltes, Skandalöses und Dionysisches
→ aristokratisierende Erhöhung →vgl. Ady: A vár fehér asszonya
→ Vorliebe für exotische Themen und Milieus
→ Artistik: verbunden mit Hermetismus
Otto Julius Bierbaum: Faunsflötenlied (Für Peter Behrens)
Ich glaube an den großen Pan,
Den heiter heiligen Werdegeist;
Sein Herzschlag ist der Weltentakt,
In dem die Sonnenfülle kreist.
Es wird und stirbt und stirbt und wird;
Kein Ende und kein Anbeginn.
Sing, Flöte, dein Gebet der Lust!
Das ist des Lebens heiliger Sinn.
- Bewegungsmotive: Tanzmotiv → Erotik
→Fröhlichkeit und Lust haben aber oft einen Sorgen vertreibenden Wunschcharakter, ein forciertes „Dennoch“
- Alfred Walter Heymel: Auf eine Serpentinetänzerin
das erotische Motiv steht zwar mit der brutal-offenen Aufforderung der Tänzerin im Mittelpunkt – „Komm, und laß als nacktes Weib / Fest dich an mich drücken“ –, die die letzten zwei Zeilen der ersten Strophe variierenden Abschlusszeilen heben aber schon durch den Wechsel der Personalpronomina von dem konkret individuellen „mich“ auf das (etwas distanzierend) verallgemeinernde „wir“ den Wunsch nach Vergessen hervor:
Tanzen alle Sorgen um,
Daß sie heulend fliehen!
→ die berauschende Funktion der sinnlichen Freude
O laßt euch bewegen,
Ihr Trüben und Trägen,
Im Tanze ist Segen,
Die Freude macht klar. (Otto Julius Bierbaum)
- Naturschwärmerei: Blumenmotive, Frühlings- und Liebesmotiv
→ Frühlingsfest und Panerotismus
Julius Hart: Der Frühling glüht durch alle Lüfte
Der Frühling glüht durch alle Lüfte,
die Wolke blitzt von weißem Licht,
herniederströmt ein Feuersamen,
der aus dem Leib der Sonne bricht.Geöffnet ist der Schoß der Erde,
nackt liegt sie noch in welkem Struth,
und liebesschauernd dehnt sie zitternd
sich in der neuen jungen Glut...
- eine kosmische Begattungsszene
- Die Vereinigung der Sonne mit der Erde impliziert – über die gesteigerte Sinnlichkeit hinaus – die mythische Verschmelzung der himmlischen und irdischen Kräfte.
Zentren:
Berlin
→ das wichtigste Organ des Jugendstils in Deutschland Kunst- und Literaturzeitschrift PAN (von 1895 bis 1900, von Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-Graefe herausgegeben) - die Zeitschrift druckte zahlreiche Illustrationen, ganzseitige Originalgrafiken - Die Zeitschrift verkörperte die Anfänge der literarischen Moderne in ihrer ganzen Vielfalt wie auch Widersprüchlichkeit. Zu den wichtigsten Autoren gehörten neben Otto Julius Bierbaum, Richard Dehmel und Arno Holz. |
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München
[https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/1/1f/Die_Jugend_1896.jpg] |
Jugend. Münchener Illustrierte Wochenschrift für Kunst & Leben. Kunst- und Literaturzeitschrift, die von 1896 bis 1940 in München erschien. Sie verstand sich als eine vielseitig interessierte Unterhaltungszeitschrift, die dem traditionellen Kulturkanon kritisch gegenüberstand und jegliche Form der Spießigkeit ablehnte. |
Wien
Secession, „Vereinigung bildender Künstler Österreichischer Secession“, 1897 unter der Führung von G. Klimt von 19 ehemaligen Mitgliedern des Künstlerhauses in Wien gegründet.
- gegen die historisierende Orientierung der Kunstakademie, gegen künstlerischen Qualitätsverlust aufgrund mangelnder Innovation und für die Freiheit des individuellen künstlerischen Schaffens (Jugendstil).
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Josef Maria Olbrich: Secessionsgebäude in Wien (1898) |
- das Ziel, die Kunst zu einem integrativen Bestandteil der Wohn- und Lebenskultur zu machen
→ intensive Beschäftigung mit allen Bereichen des Kunstgewerbes (Wiener Werkstätte).
die Zeitschrift Ver Sacrum (lateinisch für heiliger Frühling, 1898 - 1903)
→ Organ der Vereinigung bildender Künstler Österreichs und der Wiener Secession.
[http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.data.image.v/v297491a.jpg] |
- das erste Heft: Texte von Hermann Bahr, Alfred Roller und Max Burckhard. - Das symbolträchtige Umschlagmotiv stammt vom Hauptredakteur Alfred Roller → Die Wurzeln eines blühenden Bäumchens, welches in den Ästen drei unbedruckte Wappenschilder für die Bereiche Architektur, Malerei und Skulptur trägt, sprengen die Dauben eines zu eng gewordenen Holzgefäßes. |
Der Kuß (1907/08) [Microsoft ® Encarta ® Enzyklopädie 2002.] |
- charakteristisch für den Spätstil von Klimt ist die „goldene Phase” |